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Spitalinfektionen - Kaum Kontrollen, keine Grenzwerte

(Bildquelle: infoticker)

Restaurantküchen werden in der Schweiz strenger kontrolliert als Operationssäle. Dieses Fazit zieht "comparis.ch". Der Internetvergleichsdienst und das Konsumentenforum kf befragten die Kantone zu Infektionen in Spitälern und zu ihrer Verantwortung als Gesundheitsaufsicht. Nur 6 Kantone...

Restaurantküchen werden in der Schweiz strenger kontrolliert als Operationssäle. Dieses Fazit zieht "comparis.ch". Der Internetvergleichsdienst und das Konsumentenforum kf befragten die Kantone zu Infektionen in Spitälern und zu ihrer Verantwortung als Gesundheitsaufsicht. Nur 6 Kantone kontrollieren demnach regelmässig vor Ort, und nur Basel-Stadt setzt Grenzwerte. Konkrete Sanktionen wollte oder konnte kein einziger Kanton nennen, obwohl man durch konsequente Hygiene laut Experten rund 600 Todesfälle pro Jahr vermeiden könnte.

Jährlich 70'000 Menschen infizieren sich in der Schweiz während eines Spitalaufenthalts mit Krankheitskeimen. Das sind fast so viele Patienten wie die Stadt Luzern Einwohner hat - 2000 sterben, wie der Fachärzte-Verein Swissnoso schätzt. Mehr als jeder dritte Fall ist den Experten zufolge vermeidbar. Das heisst: Rund 20'000 Infektionen und 600 Todesfälle liessen sich durch bessere Hygiene verhindern. Das sind jährlich fast doppelt so viele Todesfälle aufgrund vermeidbarer Infektionen wie Tote im Strassenverkehr (339) und um ein Vielfaches mehr als infolge von Aids (57).

Die Spitäler sind zwar verpflichtet, Infekte zu messen. Doch eine Umfrage von "comparis.ch" und dem Konsumentenforum kf bei den Gesundheitsbehörden der Kantone offenbart: Es fehlt an einheitlichen Standards für Hygienekontrollen in Spitälern und an Grenzwerten für die Keimbelastung. Manche Gesundheitsdirektionen führen als Aufsichtsbehörde überhaupt keine Untersuchungen vor Ort durch und überlassen die Hygieneüberwachung den Spitälern selbst. An der Befragung hatten 20 der 26 Kantone teilgenommen, 6 Kantone machten keine Angaben.

Felix Schneuwly, Experte bei "comparis.ch" für Krankenkassen- und Gesundheitsthemen, fasst zusammen: "Das Fehlen von Grenzwerten, Kontrollstandards und mancherorts der gänzliche Verzicht auf Vor-Ort-Prüfungen zeigt: Jede Imbissbude wird von den kantonalen Gesundheitsbehörden hygienisch genauer kontrolliert als Operationssäle."

Blindes Vertrauen?

Sechs Kantone verzichten gemäss Angaben auf eigene Vor-Ort-Kontrollen der Hygiene in den Spitälern: Glarus, Solothurn, Obwalden, Jura, Uri und das Wallis. Nur sechs Kantone gaben explizit an, regelmässig vor Ort zu kontrollieren: Bern, Graubünden, Luzern, Nidwalden, Schwyz und Zürich. Unregelmässige Vor-Ort-Kontrollen gibt es in vier Kantonen: St. Gallen und Thurgau machen das "bei Bedarf", Basel-Landschaft "selten" und dann "bei begründetem Anlass", und im Kanton Basel-Stadt gab es bisher nur eine einzige Vor-Ort-Kontrolle. Die 10 restlichen Kantone machten keine Angaben.  

Die Urner Gesundheitsdirektion begründet ihren Verzicht auf Kontrollen schriftlich wie folgt: "Im Kanton Uri mit nur einem Spital und vielen persönlichen Kontakten (fast jeder kennt jeden) würde eine Kultur des Misstrauens keinen Erfolg bescheren". Und: "Wir können auf verlässliche Angaben des Kantonsspitals zählen." Im Falle einer übermässigen Keimbelastung würden allfällige Massnahmen geprüft. "Bisher gab es keinen Anlass, Massnahmen zu planen."

"Nur bei Bedarf"


Dass Behörden ihre Hygienekontrollen der Spitäler auf deren eigene Angaben stützen, ist keine Ausnahme. In Basel-Landschaft gibt es klinikinterne "Spitalhygiene-Teams". Der Kantonsarzt trifft sich regelmässig mit den Infektologen der Kliniken am runden Tisch. Die Thurgauer Aufsicht führt Kontrollen nur bei "Unregelmässigkeiten" durch und überlässt ansonsten die Kontrolle den Spitälern selbst, weil das "Teil der eigenverantwortlichen Qualitätsentwicklung der Spitäler" sei. Anders verfährt die Gesundheits- und Fürsorgedirektion Bern, die Kontrollen und Nachkontrollen durchführt und bei Bedarf Sanktionen verhängt. Konkrete Grenzwerte und Sanktionen werden aber nicht genannt. Dort, wo es Vor-Ort-Visiten gibt, erfolgen diese oft angekündigt, zum Beispiel in Graubünden.

Kein fester Turnus, keine konkreten Sanktionen


Das Fehlen nationaler Standards zeigt sich auch bei der Frage nach dem Kontrollturnus: In den meisten Kantonen lautet die Antwort "mindestens jährlich" oder nach dem Messplan des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken ANQ. Obwalden hat "keinen festen Turnus".

Experte Schneuwly: "Sich bei den Kontrollen der Spitäler auf Vertrauen zu verlassen, und die von den Krankenhäusern übermittelten Daten von der Amtsstube aus zu prüfen, ist geradezu fahrlässig. Immerhin geht es um Menschenleben." Zu bemängeln ist Schneuwly zufolge zudem, dass die Kantone keine konkreten Sanktionen nannten: "Es bleibt damit unklar, wie bei zu hohen Infektionsraten interveniert wird."

Fehlende Grenzwerte für Erreger-Belastung

Basel-Stadt nennt als einziger Kanton "kantonsinterne Grenzwerte". Aargau begründet die Nicht-Festlegung solcher Werte zum Beispiel wie folgt: "Die Festlegung von Grenzwerten auf kantonaler Ebene greift auf Grund der Kleinräumigkeit zu kurz und bedarf zunächst einer landesweit vergleichbareren Datengrundlage." Unterschiede zeigen sich auch bei der Dokumentation der Infektionsraten: In Basel Stadt werden diese geprüft und publiziert, bei "Ausreissern" wird eine Sitzung einberufen. In Zürich werden Ergebnisse und Infektionsraten jährlich im Gesundheitsversorgungsbericht veröffentlicht. Dagegen kennt St. Gallen zum Beispiel die Höhe der Infektionsraten in den einzelnen Spitälern nicht: "Es ist nahezu unmöglich oder nur mit einem sehr grossen Personalaufwand möglich alle Infekte, welche im Spital auftreten, exakt zu erfassen."

Konsumentenvertreterin: "Bund in der Pflicht"

Zusammengefasst zeigt die Umfrage laut Experte Schneuwly: "Allem Anschein nach mangelt es an kantonalen oder nationalen Grenzwerten und Kontrollvorgaben. Ohne Grenzwerte und Hygienestandards für einzelne Behandlungsabläufe ist es unmöglich, bei zu hohen Infektionsraten die Patienten geeignet zu schützen. Es braucht keine neuen Gesetze. Die meisten Kantone müssen ihre Verantwortung wahrnehmen, damit sich Patienten in Spitälern sicher fühlen können. Neben den Kontrollen müssen Infektionsraten transparent gemacht werden, damit Patienten bei ihrer Spitalwahl auch die unterschiedlichen Risiken kennen. Kantone könnten Ärzte und Spitäler zu Transparenz verpflichten und Bewilligungen an Auflagen knüpfen."

Die Präsidentin des Konsumentenforums, Babette Sigg Frank, bezeichnet das Ergebnis als "höchst alarmierend". Der Bund stehe in der Pflicht, Vorgaben zu machen. "Es kann nicht sein, dass Patienten in ein Spital gehen und dort wegen mangelnder Hygiene ernsthaft erkranken", sagt sie. 

Carlo Conti, Präsident der Gesundheitsdirektoren-Konferenz, sieht hingegen bezüglich Kontrollen der Kantone keinen Handlungsbedarf. Im Interview mit der SRF-Sendung "Kassensturz" sagt er "Ein Kontrollorgan muss nicht noch einmal dasselbe machen, was die verantwortlichen Stellen (im Spital) auch schon gemacht haben. Es muss aber überprüfen, ob das gemacht wurde und ob es korrekt gemacht wurde." Conti hält fest: "Es bleibt aber dabei: Die Verantwortung liegt bei den Spitälern."