Die epidemiologische Lage in der Schweiz hat sich in den letzten Monaten stark verbessert. Für die Entwicklung der Epidemie in den nächsten Monaten sieht der Bundesrat drei mögliche Szenarien. Allen gemeinsam ist die Annahme, dass das Virus längerfristig endemisch wird. Das heisst, dass das Virus nicht verschwinden, sondern weiterhin in der Bevölkerung zirkulieren wird. Die meisten Menschen werden über kurz oder lang mit dem Virus in Kontakt kommen und infiziert, wenn sie nicht durch eine Impfung geschützt sind.
Drei Szenarien für Herbst und Winter
Im Szenario 1 bleiben die Fallzahlen auf einem niedrigen Niveau. Kleinere Ausbrüche sind weiterhin möglich. Die Fallzahlen können saisonal bedingt etwas steigen, führen aber nicht zu einer nennenswerten Belastung des Gesundheitswesens. Die noch bestehenden Massnahmen können aufgehoben werden. Die Krise wäre zu Ende.
Im Szenario 2 kommt es zu einem Anstieg der Fallzahlen spätestens im Herbst oder Winter. Dafür kann es mehrere Gründe geben, zum Beispiel der Anteil nicht geimpfter Personen, das Aufheben der Massnahmen, saisonale Effekte oder das Auftreten neuer, ansteckenderer Virusvarianten. Dieser Anstieg führt zu einer so starken Belastung des Gesundheitssystems, dass sie die Weiterführung oder Wiedereinführung gewisser staatlicher Basismassnahmen wie Maskenpflicht oder Abstandsvorschriften notwendig macht. Auffrischimpfungen können notwendig werden.
Im Szenario 3 treten eine oder mehrere neue Virusvarianten auf, gegen die eine Impfung oder durchgemachte Erkrankung nicht mehr oder deutlich weniger schützen. Es kommt zu einer neuen, pandemischen Welle. Ein starkes staatliches Eingreifen und eine erneute Impfung sind erforderlich.
Im Zentrum der Mittelfristplanung von Bund und Kantonen steht Szenario 2 und folgende Herausforderungen:
Neue besorgniserregende Virusvarianten rasch entdecken
Je rascher neue besorgniserregende Varianten identifiziert werden, desto rascher können Einschleppung und Ausbreitung mit gezielten Massnahmen limitiert werden. Der Bundesrat hat dazu bereits vorsorglich Massnahmen beschlossen, etwa zum Vorgehen an den Grenzen. Er hat heute das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) beauftragt, in Zusammenarbeit mit den betroffenen Bundesstellen und den Kantonen das Überwachungssystem für das Aufspüren neuer Virusvarianten und das Monitoring ihrer Verbreitung in der Schweiz zu verstärken.
Impfbereitschaft erhöhen
Die breite Impfung der Bevölkerung ist entscheidend, um die Gesundheitsversorgung zu entlasten und die Epidemie zu bewältigen. Ein möglicher Wiederanstieg im Herbst wird wesentlich davon abhängen, wie hoch der Anteil geimpfter Personen in der Bevölkerung ist. Die Informationen zur Impfung werden deshalb intensiv weitergeführt. Für die mittelfristige Planung sind die Vorbereitung auf die Auffrischimpfung und die Anpassung der Impfung an neue Virusvarianten wichtig.
Auffrischimpfung vorbereiten
Derzeit gilt eine Schutzdauer von mindestens 12 Monaten gegen milde Covid-19-Erkrankungen. Gegen schwere Verläufe und Hospitalisierungen wird von einer Schutzdauer von mehr als 12 Monaten ausgegangen, bei gesunden Erwachsenen kann diese wesentlich länger sein. Wie lange die Impfung vor einer Übertragung schützt, ist derzeit noch nicht bekannt. Um längerfristig einen ausreichenden Schutz zu gewährleisten, dürften frühestens ab dem nächsten Winter Auffrischimpfungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder für alle bereits geimpfte Personen notwendig sein.
Der Bundesrat hat das EDI beauftragt, unter Einbezug der betroffenen Stellen bei Bund und Kantonen die Vorbereitungen für die Planung und Durchführung der Auffrischimpfungen frühzeitig an die Hand zu nehmen. Die Kantone bleiben vor Ort für die Organisation der Impfung und das Bereitstellen der nötigen Kapazitäten zuständig. Das VBS wird beauftragt, die Impfstofflogistik solange zu gewährleisten, bis diese in die etablierten privaten Verteilkanäle überführt werden kann.
Gegen die bisher aufgetretenen Virusvarianten zeigen die in der Schweiz zugelassenen Impfstoffe eine sehr gute Wirksamkeit. Jedoch ist nicht auszuschliessen, dass das Auftreten von neuen Virusvarianten eine Anpassung der Impfstoffe notwendig macht. Die Technologie der mRNA-Impfstoffe erlaubt eine verhältnismässig einfache und rasche Anpassung an neue Virusvarianten. Bis Impfungen mit einem angepassten Impfstoff erfolgen können, werden im günstigsten Fall etwa 6 Monate benötigt.
Teststrategie anpassen
Der Zugang zum Testen soll weiterhin niederschwellig und für alle offen sein. Wer Symptome verspürt soll sich nach wie vor sofort testen lassen können. Die Laborkapazitäten müssen im Falle einer Verschlechterung der epidemischen Lage rasch erhöht werden können. Wenn alle impfbereiten erwachsenen Personen geimpft sind, soll die Teststrategie angepasst werden. Das präventive Testen soll mit Beginn der Normalisierungsphase zurückgefahren werden, mit Ausnahme in den Schulen. Der Bund fordert die Kantone auf, mit repetitiven Tests sicherzustellen, dass der Schulbetrieb ohne einschränkende Massnahmen weitergeführt werden kann. Ausbrüche bei Kindern sollen möglichst verhindert werden. In Ländern, in welchen die Delta-Variante vorherrschend ist, werden überdurchschnittlich viele Ansteckungen in Schulen festgestellt. Wann eine Impfung von Kindern unter 12 Jahren möglich sein wird, ist noch nicht klar. Für diese Altersgruppe liegen noch keine Studiendaten vor. Für die Impfung von Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren liegt bisher die Zulassung von Swissmedic für einen Impfstoff vor.
Kapazitäten für Contact Tracing erhalten
Auch im Falle einer weiteren Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens bleibt das Contact Tracing eine wichtige Massnahme, um auftretende Fälle rasch zu isolieren und eine Ausbreitung zu verhindern. Dies spielt vor allem im Falle eines Auftretens besorgniserregender Virusvarianten oder für besonders gefährdete Personen eine wichtige Rolle, zum Beispiel in Alters- und Pflegeheimen. Es ist deshalb wichtig, dass die Kantone die nötigen Kapazitäten für das Nachverfolgen von Ansteckungen erhalten oder rasch wieder aufbauen können.
Kapazitäten des Gesundheitssystems erhalten
Im Falle eines Wiederanstiegs der Fallzahlen müssen ausreichend Kapazitäten vor allem in den Spitälern zur Verfügung stehen. Dafür sind die Kantone zuständig. Zudem muss das Gesundheitssystem auf eine zusätzliche Belastung durch längerfristige gesundheitliche Auswirkungen einer Covid-19-Erkrankung (Long term effects of Covid-19) reagieren können. Auch die Auswirkungen der Epidemie und der getroffenen Massnahmen auf die psychische Gesundheit gilt es weiterhin zu verfolgen.
Ende der besonderen Lage
Der Bundesrat hat sich auch mit der Frage nach dem Ende der besonderen Lage gemäss Epidemiengesetz befasst. Sie endet dann, wenn aufgrund der Bedrohung durch SARS-CoV-2 weltweit keine gesundheitliche Notlage besteht und keine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit in der Schweiz mehr droht.
Weitere Themen der Mittelfristplanung
In seiner Auslegeordnung für die nächsten Monate hat der Bundesrat auch weitere Themen diskutiert, etwa die Versorgung mit medizinischen Gütern, die längerfristigen gesellschaftlichen Auswirkungen, internationale Aspekte, Einreisebestimmungen, die Krisenorganisation und digitale Systeme. Die meisten dieser Themen betreffen Bund und Kantone.
SwissCovid App wird erweitert
Der Bundesrat hat heute auch beschlossen, die SwissCovid App per Anfang Juli 2021 um eine Check-in-Funktion zu erweitern und damit das Contact Tracing gezielt zu ergänzen. Das dezentrale System zeichnet keine persönlichen Daten auf und nutzt weder Bluetooth noch GPS. Die Check-in-Funktion soll bei kleineren Veranstaltungen eingesetzt werden – zum Beispiel bei privaten Treffen, Sporttrainings, Chorproben und kleinen Konzerten oder in Sitzungszimmern. Veranstalterinnen und Veranstalter können direkt in der App einen QR-Code erstellen, den die Gäste bei ihrer Ankunft einscannen, um sich so bei der Veranstaltung einzuchecken. Nach der Veranstaltung bestätigen die Gäste in der App, dass sie die Veranstaltung verlassen haben. Diese Informationen werden auf dem eigenen Mobiltelefon während 14 Tagen lokal gespeichert und danach automatisch gelöscht. Wird eine Person nach einer Veranstaltung positiv auf das Coronavirus getestet und gibt den Covidcode in die SwissCovid App ein, erfolgt eine automatische Benachrichtigung an alle Gäste, die im gleichen Zeitraum bei derselben Veranstaltung eingecheckt waren.
Förderprogramm für Medikamente gegen Covid-19
Der Bundesrat hat auch beschlossen, die Umsetzung seines Förderprogramms für Medikamente gegen Covid-19 dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Innosuisse zu übertragen. Das BAG wird über die Finanzierungsbeiträge entscheiden. Innosuisse übernimmt die Ausschreibungen und die technische Evaluation der eingereichten Projekte. Mit dem Programm soll die Forschung, Entwicklung und Herstellung von Medikamenten gegen Covid-19 gefördert werden, um zu einer sicheren und raschen Versorgung der Schweizer Bevölkerung beizutragen. Die Kriterien des Programms und das Eingabeverfahren sollen noch im Juli 2021 publiziert werden. Das Programm ist bis Ende 2022 befristet.