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Covid-19 in der Schweiz - Verlauf der Pandemie ist im Abwasser lesbar

Probenahmen auf der Zürcher Kläranlage Werdhölzli. (Foto Eawag, Andri Bryner)
Probenahmen auf der Zürcher Kläranlage Werdhölzli. (Foto Eawag, Andri Bryner) (Bildquelle: Eawag, Andri Bryner)

Der Nachweis des neuen Coronavirus im Abwasser ist gelungen. Selbst kleine Konzentrationen in Proben, die in einer frühen Phase des Ausbruchs entnommen wurden, lassen sich nachweisen. Jetzt ist ein Team von Forschenden der EPFL und der Eawag daran, die Methode zu optimieren. Entstehen soll ein System, das einen allfälligen Wiederanstieg der Fallzahlen früher anzeigen kann als klinische Tests bei infizierten Menschen.

«Detektion und Quantifizierung von SARS-CoV2 im Abwasser» – Forschungsprojekte in diesem Umfang dauern üblicherweise mehrere Jahre. Nun hat eine Gruppe um Prof. Tamar Kohn (Labor für Umweltchemie an der EPFL) sowie Dr. Christoph Ort (Abteilung Siedlungswasserwirtschaft) und Dr. Tim Julian (Abteilung Umweltmikrobiologie) von der EAWAG innert weniger Wochen unter grossem Einsatz aufgezeigt, dass aus der Idee Realität werden kann. Aus Lugano, Lausanne und Zürich wurden erste Abwasserproben analysiert, im Fall von Zürich und Lugano auch je eine aus der Zeit Ende Februar mit den ersten bekannten Fällen von Infektionen in der Schweiz. In allen Proben ist es den Forschenden gelungen, das neue Coronavirus nachzuweisen. In den neueren Proben sind die Konzentrationen so hoch, dass eine Analytik verhältnismässig einfach scheint. Nicht so für die Proben vom Februar: «Dass es gelungen ist, aus Lugano mit erst einem und aus Zürich mit erst sechs bekannten Fällen bereits ein Signal im Abwasser zu messen, konnten wir nicht erwarten», sagt Umweltwissenschaftlerin Tamar Kohn.

Verlauf der Ansteckung aufzeigen, nicht absolute Zahl der Infizierten

Die erfolgreiche Detektion von tiefen Virenkonzentrationen zu einer frühen Zeit des Ausbruchs sollte es möglich machen, rückwirkend die Kurve des Covid-19-Anstiegs zu rekonstruieren. Bis die über 300 Proben, die zurzeit an der Eawag und der EPFL eingefroren lagern, alle ausgewertet sind, werden aber noch Wochen vergehen. Auf eine exakte Zahl von Infizierten rückschliessen wird man daraus kaum können. Unter anderem schwankt dazu die Zahl der ausgeschiedenen Viren pro Angestecktem zu stark. Wichtig ist jedoch der Verlauf. Am Beispiel der Proben aus Lausanne konnten die Wissenschaftler in den letzten Tagen den Anstieg der SARS-CoV2-Viren im Abwasser zwischen März und April grob nachzeichnen: Kohn schätzt die Vervielfachung der Konzentration zur Zeit auf das Zehn- bis Hundertfache.

Ziel Frühwarnsystem

Von zwölf Kläranlagen, neun davon aus dem Tessin, wurden seit dem Bekanntwerden der ersten Covid-19-Erkrankungen Proben genommen – ein wertvolles Archiv. Hauptziel des Projekts ist jedoch nicht der Rückblick, sondern der Aufbau eines Systems mit Frühwarnfunktion. «Mit Proben aus 20 grossen, geografisch gut über die Schweiz verteilten Kläranlagen könnten wir das Abwasser von rund 2.5 Millionen Leuten überwachen», sagt Umweltingenieur Christoph Ort. Werden die Proben rasch analysiert, könnte ein Wiederanstieg von Infektionen während des Exits aus dem Lockdown wohl früher erkannt werden als über klinische Tests bei den Betroffenen; Ort hofft, ungefähr eine Woche früher. Der Eawag-Forscher befasst sich seit längerem mit Abwasser-Epidemiologie. Bisher stand der europaweite Vergleich des Drogenkonsums im Fokus, denn «das Abwasser lügt nicht und spiegelt innert weniger Stunden, was die Bevölkerung ausscheidet», sagt Ort. Jetzt kamen den Forschenden die eingespielten Kontakte zu Kantonen und Kläranlagen zu Gute.

Aufwändige Methodik

Trotz der ersten Erfolge muss die Methodik jetzt weiter optimiert werden. So steht noch nicht eindeutig fest, welcher Anteil der Viren beim Extrahieren – dem Knacken der Hülle um die verräterische Erbinformation (RNA) – erfasst wird. Dieser Schritt folgt mehreren Filtrations- und Zentrifugierschritten. Und auch danach, bei der selektiven Vervielfältigung der gesuchten Gensequenz, sind die Unsicherheitsfaktoren aktuell noch zu gross. Erst wenn auch diese eingegrenzt werden können, werden die Rückschlüsse auf die in den Originalproben enthaltenen Virenkonzentrationen vergleichbar.