von Sven Grunwald
Der Countdown läuft - noch zwei Stunden bis zum Kick-off in Brasilien. Passend dazu, ein kleiner Einblick in den Süden Brasiliens.
Rio de Janeiro
Stadt
Unsere erste Station ist gleich ein Highlight - Rio de Janeiro. Mit 6'429'923 Einwohnern ist Rio die zweitgrösste Stadt Brasiliens. Obwohl die Stadt eigentlich auf einem Irrtum beruht.
Am 1. Januar 1502 steuerte der portugiesische Seefahrer Gaspar de Lemos sein Schiff in die Guanabara-Bucht an der brasilianischen Küste. Allerdings hielt de Lemos diese für die Mündung eines Flusses, weshalb er die Bucht fälschlicherweise als Rio de Janeiro - Januar-Fluss - nannte. Merda aconteça...
Die offizielle Gründung der Stadt vom portugiesischen Soldaten Estacio de Sa datiert vom 1. März 1565. Für viele ist Rio de Janeiro die Hauptstadt Brasiliens, was allerdings nicht ganz falsch ist. Zwar ist heute Brasília die Hauptstadt des Landes, doch vor Brasília hatte Rio von 1764 bis 1960 diesen Status inne. Dennoch bleibt Rio in Sachen Kultur und Tourismus die Metropole schlechthin. Rio wurde relativ schnell zum Handelszentrum für Gold, Edelsteine und andere Güter, die im 17. Jahrhundert exportiert wurden. Begünstigt, dass in Minas Gerais die Minen abgebaut wurden. Gleichzeitig wurde Rio auch von der afrikanischen Kultur geprägt, da viele Sklavenschiffe dort anlegten.
Klima
Klimatisch gesehen besitzt Rio de Janeiro gemäss "geo" Rio de Janeiro angenehme Temperaturen. Maximal eine jährliche Durchschnittstemperatur von 28°C, minimal von 19,3°C. Doch die Luftfeuchtigkeit dürfte den Spielern zu schaffen machen. Im Durschnitt beträgt diese 82,6 Prozent. Somit keine einfache Aufgabe für die Teams, die sich hier unter anderem im Finale gegenüberstehen werden.
Wissenswertes
Cristo Redentor
Über Rio de Janeiro und seine Sehenswürdigkeiten gibt es eine Menge zu erzählen. Cristo Redentor ist dabei mit Sicherheit ein Highlight.
Schon bereits im 19. Jahrhundert hatte der katholische Geistliche Pedro Maria Boss den Plan, eine solche Statue zu erbauen, genauso wie zur Zeit des ersten Weltkrieges, als eine Gruppe Brasilianer ein Ansteigen der Gottlosigkeit fürchtete. Letztendlich entwarf 1922 von Heitor da Silva Costa eine erste Version die Christus mit einem Kreuz in der linken Hand und einer Weltkugel in der rechten Hand zeigte. Allerdings wurden diese Pläne später wieder verworfen. Jedoch kam da Silva Costa wenig später beim Anblick auf einer auf dem Corcovado montierten Radioantenne. So entstand das heutige Bild mit den ausgestreckten Armen. Am 12. Oktober 1931 wurde die Statue geweiht.
Die Statue enthält ein elfgeschossiges Treppenhaus, über das auch die Arme und der Kopf zu Wartungszwecken begangen werden können. Insgesamt ist die Statue mit Podest 38 Meter hoch, 28 Meter breit und wiegt 1,145 Tonnen. Der Kopf ist 3,75 Meter breit und 30 Tonnen schwer, die Hände 3,2 Meter lang acht Tonnen schwer.
Karneval
Vom 28. Februar bis zum 05. März 2014 herrschte in Rio Ausnahmezustand. Zehntausende Tänzer, Tänzerinnen, Trommler und halbnackte Samba-Queens. Dazu die Parade der Sambaschulen mit ausgefallene Wagen und sexy Kostüme sowie heissen Samba-Rhytmen, die durch das Sambódromo zogen.
Dieses Stadion wurde 1984 eigens für den Karneval erbaut. Auf einer Strecke von 650 Metern präsentieren sich hier die Sambaschulen.
Fussball
Neben dem Karneval ist natürlich auch der Fussball in Rio allgegenwärtig. Mit Botafogo, Fluminense, Vasco da Gama und Flamengo verfügt man über Top-Klubs in Brasilien. Zuletzt wurde 2012 Fluminense brasilianischer Meister. Zudem besitzt Flamengo mit weit über 30 Millionen Fans die grösste Fangemeinde in Brasilien. Viele weltbekannte Stars wie Jairzinho, Zico, Ronaldo und Romario stammen aus Rio.
Estádio do Maracanã
Das Estádio do Maracanã oder eher gesagt das Stadion mit den zwei Ts ist der Fussball-Tempel in Brasilien. Zum einen aber auch Stätte des Traumas und Traums (siehe Teil 1).
Das Estádio Jornalista Mário Filho, wie es offiziell heisst, wurde für die WM 1950 im eigenen Land gebaut. Mit einem Fassungsvermögen von 200'000 Zuschauern war es einst das grösste Stadion der Welt, welches auch einige Zuschauerrekorde hält. Die umgebaute Version wird "nur" noch 74'738 Zuschauern Platz bieten, bleibt aber nach wie vor das grösste Stadion des Landes. Der gesamte Unterrang wurde abgerissen und eine neue Tribüne mit besseren Sichtverhältnissen errichtet. Zudem wurden die Rampen vergrössert, die Bestuhlung komplett erneuert und ein neues Dach installiert, über das Regenwasser zur weiteren Nutzung aufgefangen werden kann. Die Aussenfassade, die durch das Instituto do Patrimônio Histórico e Artístico Nacional, unter Denkmalschutz gestellt wurde, blieb erhalten.
Die Touristen können sogar einen Stein des Stadions als Souvenir mitnehmen.
Curitiba
Stadt
An unserer nächsten Station können viele Städte etwas lernen - Curitiba. Die Hauptstadt des Bundesstaates Paraná fasst 1'848'946 Einwohner.
Seit dem 18. Jahrhundert erlebte die Stadt ein stetiges Wachstum, da sie als Drehscheibe für den Viehhandel der Region diente. 1853 wurde sie schliesslich zur Hauptstadt Paranás erklärt wurde und expandierte aufgrund einer starken Zuwanderung drastisch. Viele Deutsche, Italiener, Ukrainer und Polen zog es in die Region, was auch kulturell die Stadt prägte. Im Viertel Santa Felicidade sind italienische "Cantinas", der "Bosque Alemão" - deutscher Wald - oder ein Nachbau der ukrainischen Kirche im berühmten Tingüi-Park zu finden.
Doch dank einer geschickten Städteplanung Mitte des 20. Jahrhunderts konnte die wachsende Bevölkerung kontrolliert und versorgt werden.
Klima
Von den Temperaturen gesehen ist Curitiba ein angenehmer Ort. Laut "geo" herrscht dort jährlich eine Durchschnittstemperatur von maximal 21,9°C, minimal von 11,6°C. Die relative Luftfeuchtigkeit beträgt dagegen durchschnittlich im Jahr 80,7 Prozent.
Wissenswertes
Tingüi-Park
Curitiba bietet viele Parks - etwa oder den Tangua, Barigui, den botanischen Garten oder den Tingui-Park. Dieser wurde 1994 etabliert und besitzt Flüsse, ein Holzbrücke einen Fahrradweg und natürlich viel Grünfläche. Perfekt zum Fahrradfahren, Spielen oder Relaxen. Zudem befindet sich am Eingang eine Bronze-Skulptur von Tindiqüera, dem Anführer des Stammes Tingüi. Eine Hommage an alle Eingeborenen, die die Region bewohnt haben.
Ausserdem gibt es einen Nachbau der ukrainischen Kirche, als Hommage an die einflussreiche Einwandererbewegung. Als Anlehnung an den Erzengel St. Michael Kirche in Litauen ist die Kirche komplett aus Holz gebaut.
Oscar Niemeyer Museum
Bereits in Teil drei ist dieser Name gefallen - Oscar Niemeyer. Der Star-Architekt aus Brasilien. Das Museu do Olho - Museum des Auge - erbaute Niemeyer selbst. Das Museum, welches 2005 eröffnet wurde, soll ein überdimensioniertes Auge und beherbergt etliche Ausstellungen im Bereich bildende Kunst und Architektur.
Fussball
In Curitiba gibt es zwei Traditionsklubs. Zum einen der Coritiba Football Club, zum anderen der Clube Atlético Paranaense. Das Derby beider ist das berüchtigte Atletiba, eines der grössten Derbys des Landes. Ein weiterer Klub der Stadt ist Paraná Clube, der 1989 aus der Fusion zweier anderer Vereine hervorging: Colorado und Pinheiros.
Coritiba, auch Coxa genannt, sicherte sich 1985 die brasilianische Meisterschaft. Der Lokalrivale Atlético Paranaense, O Furacão - der Wirbelsturm - holte sich 2001 den Meistertitel. Paraná Clube dagegen spielt derzeit in der Serie B - gewann allerdings bereits siebenmal die Staatsmeisterschaft Paranás. Zuletzt 2006.
Arena da Baixada
Das Estádio Joaquim Américo, auch bekannt als Arena da Baixada, gilt seit der letzten Renovierung 1999 als eines der modernsten und technisch fortschrittlichsten Arenen Brasiliens. Für die WM 2014 wurden die Seitentribünen erweitert, wodurch die Kapazität auf 41'456 Plätze stieg.
Porto Alegre
Stadt
Nun geht es tief in den Süden nach Porto Alegre, übersetzt fröhlicher Hafen. Die Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do Sul besitzt 1'467'816 Einwohner.
Die Ursprünge Porto Alegres gehen bis ins 18. Jahrhundert zurück, als portugiesische Einwanderer von den Azoren sich in diesem Gebiet niederliessen und ein Dorf gründeten. Im Jahre 1772 wurde dies zur Gemeinde Senhora Madre de Deus do Porto Alegre. Als schliesslich Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts tausende Europäer aus Portugal, Italien, Deutschland und Polen einwanderten, stieg die Einwohnerzahl rapide. Natürlich hatten die Europäer auch Einfluss auf die Kultur.
Klima
"Wetterkontor" zufolge ist auch Porto Alegre von den Temperaturen her gesehen ein angenehmer Ort. Jährlich hat die Stadt eine Durchschnittstemperatur von maximal 24,8°C, minimal von 15,6°C. Zwar liegt die relative Feuchte im Jahr durchschnittlich bei 76 Prozent, doch mit 82 Prozent beziehungsweise 81 Prozent findet diese im Juni und Juli ihren Höhepunkt.
Wissenswertes
Kölner Feeling in Porto Alegre
Kölsch-Liebhaber dürften in Porto Alegre auf ihre Kosten kommen. Allgemein besitzt die Region eine lange Bierbrau-Tradition. Bereits 1913 gab es 134 Brauereien in Rio Grande do Sul. Allerdings hat der kommerzielle Erfolg der grossen Brauereien die Kleineren zur Schliessung gebracht. Oder diese wurden aufgekauft.
Mittlerweile gibt es eine Brauerei-Bewegung, die "Acerva Gaúcha". In den vergangenen Jahren habe sich ein Markt für selbstgebrautes Bier entwickelt. Selbst Kölsch findet man dort vor.
Mate-Tee
Besonders beliebt ist aber auch der Mate-Tee, auch chimarrão genannt. Dieser wird dort sogar aus Thermoskannen getrunken.
Lagoa dos Patos
Bemerkenswert ist ebenfalls die Entenlagune. Hier münden mehrere Flüsse und bilden eine riesige Lagune. Insgesamt ist diese über 10 000 km2 gross, 290 km lang und bis zu 75 km breit.
Fussball
Zwei der grössten Fussballklubs in Brasilien sind in Porto Alegre beheimatet. Auf der einen Seite steht das Blau-Schwarz von Grêmio Football Porto Alegrense, und auf der anderen Seite das Rot-Weiss des Sport Club Internacional.
Grêmio konnte bereits zwei Mal das Campeonato Brasileiro gewinnen (1981 und 1996), vier Mal die Copa do Brasil (1989, 1994, 1997 und 2001) und zwei Mal die Copa Libertadores (1983 und 1995). Inter dagegen gewann den Brasileiro zweimal (1975, 1976 und 1979), ein Mal die Copa do Brasil (1992), ein Mal die Copa Libertadores (2006) ein Mal FIFA Klub-Weltmeisterschaft (2006). Dazu können beide Vereine grosse ehemalige Spieler aufweisen. So spielten Ronaldinho Gaúcho, Emerson und Renato Gaúcho für Grêmio, Falcão, Taffarel und Alexandre Pato bei Internacional.
Estádio Beira-Rio
Hier trägt eigentlich Inter seine Heimspiele aus, zudem gab es in diesem Stadion bereits eine Vielzahl an Derbys zwischen Grêmio und Internacional. Aufgrund seiner Größe wird das Stadion auch Gigante do Beira-Rio genannt. Die Fans der "Colorados" spendeten Steine, Zement und Eisen. Einige verliessen sogar das alte Estádio dos Eucaliptos, um die Bauarbeiter "anzufeuern", die am neuen Beira-Rio arbeiteten, wenn es für ihre Mannschaft schlecht lief.
São Paulo
Stadt
Natürlich habe ich São Paulo, das zwischen Rio de Janeiro und Curitiba liegt nicht vergessen. Jedoch findet hier heute das Eröffnungsspiel der Fifa Fussball-Weltmeisterschaft statt. Daher wird São Paulo gleichzeitig unsere letzte Stadt sein. Die Stadt selbst ist Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates. Sie fasst 11'821'873 Einwohner, was sie zur grössten Stadt Brasiliens macht.
Angesichts des Rufes als Arbeiterparadies wurde São Paulo zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Ziel zahlreicher Immigranten. Das machte die Stadt auch aus ethnischer Sicht zur vielfältigste Stadt Brasiliens. Aufgrund des unbeständigen Wetters und den häufigen Regenfällen wird die Stadt auch als Terra da Garoa - Land des Nieselregens - bezeichnet. Gegründet wurde die Stadt am 25. Januar 1554, von Padres Manuel da Nóbrega und José de Anchieta, zwei jesuitischen Missionaren, gegründet.
Klima
"Wetterkontor" zufolge ist auch São Paulo ein angenehmer Ort in Sachen Temperaturen. Maximal herrscht hier eine durchschnittliche Jahrestemperatur von 24,9°C, minimal von 15,5°C. Die relative Feuchte beträgt jährlich im Durchschnitt 78 Prozent.
Wissenswertes
Museu Paulista
Das Museu Paulista ist ein palastartiges, im neoklassischen Stil gebautes Museum. Die von 1885 bis 1890 errichtete Anlage dient zur Erinnerung der Unabhängigkeit von der einstigen Kolonialmacht Portugal. Hier findet man Ausstellungsstücke wie Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Karten und ein Modell, das São Paulo im Jahre 1841 zeigt. Oder das Ölgemälde "Independência ou Morte" (Unabhängigkeit oder Tod) von Pedro Americo.
Situation rund um São Paulo
Brandherd ist derzeit auch São Paulo. Hiergingen vor drei Tagen Spezialeinheiten mit Tränengas und Gummigeschossen gegen Streikende U-Bahnfahrer und Demonstranten los. Die U-Bahnfahrer der Metro fordern eine Gehaltserhöhung von 12,2 Prozent. Die Demonstranten unterstützen dabei die Streikenden. Staatspräsidentin Dilma Rousseff bezeichnete derweil den Streik als eine "systematische Kampagne" gegen das WM-Turnier.
Bereits seit knapp einer Woche wird gestreikt, was zu einem Verkehrschaos in der Stadt führt.
Fussball
Aus São Paulo kommen drei der wohl bekanntesten Klubs. Corinthians, Palmeiras und FC São Paulo. Sowohl Corinthians als auch der FC São Paulo konnten die FIFA Klub-Weltmeisterschaft gewinnen (2000 bzw. 2005). Traditionsvereine wie Portuguesa de Desportos und Juventus komplettieren die sportliche Landschaft.
Arena de São Paulo
Hier findet in einigen Stunden das Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien statt. Es fasst eine Kapazität von 68'000 Plätze, doch dessen Fertigstellung stand kurze Zeit auf der Kippe. Bauherren drohten mit dem sofortigen Baustopp, sollten die Finanzierung nicht baldmöglichst gesichert sein. Somit ist die Arena noch nicht komplett fertiggestellt - es müssen noch Arbeiten an den Zusatztribünen verrichtet werden.
Hinzu kommt, dass sich im November 2013 ein tragischer und tödlicher Unfall ereignete. Ein unzureichend fundamentierter Baukran stürzte auf Dachstruktur und riss Teile davon herunter. Dabei starben zwei Menschen. Im März 2014 starb erneut ein Bauarbeiter, der aus grosser Höhe stürzte, als er gerade eine Zusatztribüne montierte.
Dankeschön
Das war die Reihe "infoticker.ch vai Brasil." Dankeschön an alle Leser. Ein besonderes Dankeschön möchte ich an dieser Stelle an René Habitzl richten, der immer wieder Gegengelesen und Verbesserungen geliefert hat, sobald mir alles über den Kopf gewachsen ist sowie Marie Kias, die mich in Rekordtempo in und aus der Bibliothek führte. Sonst wäre ich wohl jetzt noch dort... Obrigado!