Sexualkunde in der Schule ist ein kontroverses Thema. Yara Barrense-Dias forscht im Bereich Jugendgesundheit und wollte herausfinden, ob die sexuelle Gesundheit junger Menschen damit zusammenhängt, von wem sie aufgeklärt wurden. Eine vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Forschungsgruppe, der auch die Schweizerische Stiftung für sexuelle und reproduktive Gesundheit angehört, wertete Daten aus einer gesamtschweizerischen Befragung von 2017 aus. Die endgültige Stichprobe umfasste gegen 5'000 Personen.
Die wichtigste Schlussfolgerung der Studie: Der Sexualkundeunterricht in der Schule hat einen positiven Einfluss auf die sexuelle Gesundheit. So waren Befragte, welche die Schule als Hauptinformationsquelle nannten, am wenigsten häufig von sexuell übertragbaren Infektionen betroffen.
"Es gab ausserdem überraschende Ergebnisse", sagt Yara Barrense-Dias von der Forschungsgruppe für Jugendgesundheit am Center for Primary Care and Public Health (Unisanté) in Lausanne: "Oft wird angenommen, dass die Jugendlichen ihre ersten sexuellen Erfahrungen heute früher machen. Aber wir haben festgestellt, dass das nicht so ist."
Freundeskreis an erster Stelle
Für die Studie beantworteten 4978 junge Erwachsene aus der ganzen Schweiz folgende Frage: "Wer hat mit Ihnen während Ihrer Kindheit und Jugend hauptsächlich über Sexualität gesprochen?" Die Teilnehmenden konnten dabei aus neun Vorschlägen nur einen auswählen.
Die ursprüngliche Stichprobe stammte vom Bundesamt für Statistik und war repräsentativ für die 24- bis 26-jährige Bevölkerung in der Schweiz. Alle diese jungen Erwachsenen wurden von den Forschenden angeschrieben und gebeten, an ihrer Umfrage mitzumachen. Die Rücklaufquote war mit 15,1 Prozent gemäss Yara Barrense-Dias tiefer als erwartet. "Wir waren uns bewusst, dass Sexualität nach wie vor ein heikles Thema ist. Die Stichprobe ist aber immer noch gross. Die Daten und die Analyse sind genügend aussagekräftig, um unsere Fragen zu beantworten. Und wir konnten die letzte Erhebung über das Sexualverhalten junger Menschen von 1995 aktualisieren".
Das Forschungsteam unterteilte die Teilnehmenden aufgrund ihrer Antworten in sechs Gruppen, je nach ihrer Hauptinformationsquelle für die Aufklärung: Freundeskreis, Eltern, Schule, Internet, niemand, andere. Auf dem ersten Platz landeten die Freundinnen und Freunde mit 38,9 Prozent, gefolgt von den Eltern mit 27,3 Prozent, der Schule mit 19,1 Prozent und dem Internet mit 8 Prozent. Verglichen wurden die sechs Gruppen dann bezüglich soziodemografischen Kriterien, ersten sexuellen Erfahrungen, Schwangerschaft, Risikoverhalten (u.a. sexuell übertragbare Infektionen), der Zahl der Sexualpartner sowie mit Daten über ungewollte sexuelle Erfahrungen.
Junge Männer, junge Frauen
Der Vergleich weist darauf hin, dass Kinder, deren Pubertät besonders früh oder spät einsetzt, Nicht-Heterosexuelle und junge Männer eher Informationen im Internet suchen. Gleichzeitig zeigen sich bei Jugendlichen, die das Internet und den Freundeskreis als Hauptquellen für die Aufklärung nutzen, häufiger negative Entwicklungen wie riskantes Sexualverhalten. "Das ist ein grosses Problem", meint Yara Barrense-Dias. "Der Aufklärungsunterricht in der Schule muss alle sexuellen Identitäten einschliessen und auch Kinder berücksichtigen, die sehr früh oder spät in die Pubertät kommen." Sie ist aber auch überzeugt: "Wir müssen den Kindern beibringen, wie sie die verschiedenen Quellen nutzen, wie sie ihre Internet-Kompetenzen verbessern können. Schule und Eltern sollten junge Menschen auf gute, vertrauenswürdige Websites hinweisen und diese selber zur Unterstützung einsetzen."
Junge Frauen wurden im Übrigen häufiger von ihren Eltern - meistens der Mutter - über Sexualität aufgeklärt als junge Männer. Vermutlich bemühen sich die Eltern eher um die Aufklärung, weil die Mädchen schwanger werden können. Yara Barrense-Dias hat eine weitere Erklärung: "Die erste Periode ist ein guter Anlass, ein Gespräch über Sexualität allgemein zu beginnen." Ein Ankerpunkt beim Heranwachsen, den es beim männlichen Körper nicht gibt. Die Forscherin betont jedoch, dass die Verantwortung für Verhütung und Schutz im Hinblick auf eine positive Sexualität und eine gute sexuelle Gesundheit alle Geschlechter betreffe.
Starke Partnerschaft
Bei den Befragten, die als Hauptquelle die Schule angaben - und mit nur wenig Abstand bei denjenigen, die hauptsächlich von ihren Eltern aufgeklärt wurden - waren sexuell übertragbare Infektionen am seltensten (6,8 Prozent bzw. 8,2 Prozent). In der Gruppe, die das Internet oder den Freundeskreis nannte, erreichte dieser Anteil hingegen 11,3 bzw. 11,7 Prozent. Ähnlich fielen die Ergebnisse bei der Frage aus, ob die Teilnehmenden Geschlechtsverkehr hatten, ohne diesen wirklich zu wollen. Deshalb bekräftigt Yara Barrense-Dias, wie wichtig eine starke Partnerschaft zwischen Schule und Eltern sei:
"Die erste Quelle für die Sexualerziehung sollten die Eltern sein, doch die Schule kann sie dabei unterstützen. Manchmal ist es für Eltern schwierig über Sexualität zu sprechen; etwa den richtigen Moment zu finden oder alle Aspekte abzudecken. Im Sexualkundeunterricht hingegen gibt es einen festen Lehrplan." Die Forscherin folgert: "Schule und Eltern sollten in der Aufklärung nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sich ergänzen."