Bakterielle Nano-Harpune funktioniert wie Power-Bohrer
25.09.2017 | 19:34
Um sich unliebsamer Konkurrenten zu entledigen, bedienen sich einige Bakterien einer ausgeklügelten Waffe - der Nanoharpune. Forscher vom Biozentrum der Universität Basel haben nun ganz neue Einblicke in deren Bau, die Funktionsweise sowie das Recycling gewonnen. Wie sie im Fachblatt "Nature Microbiology" berichten, bohrt sich die Nanoharpune in wenigen Tausendstelsekunden in die Zellwand der Nachbarzelle und injiziert dort einen Giftcocktail.
Dicht an dicht drängeln sich Millionen winziger Mikroben auf Blättern, Steinen oder unserer Haut. Und beinahe überall müssen sie um Ressourcen und Nährstoffe wetteifern. Im Laufe der Evolution haben daher einige Bakterien eine Waffe entwickelt, mit der sie ihren Konkurrenten und Gegnern in der Umgebung einen Giftcocktail injizieren und sie so ausschalten. In der Fachwelt wird dieser einer Harpune ähnelnden Waffe auch als Typ 6 Sekretionssystem (T6SS) bezeichnet.
Bereits vor zwei Jahren gelang es Prof. Marek Basler den atomaren Aufbau der Nanoharpune im "abgefeuerten" Zustand aufzuklären. In der aktuellen Studie, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Forschungsgruppen und Technologieplattformen am Biozentrum entstand, legte das Team nun erstmals die Struktur der Nanoharpune im "abschussbereiten" Zustand offen. Anhand dieser Erkenntnisse konnten die Forscher nun zeigen, wie die T6SS-Harpune im Detail funktioniert.
Struktur der Nanoharpune verändert sich beim Abfeuern
Die Harpune ist aus verschiedenen Bauteilen aufgebaut, dazu gehören eine äussere Hülle und ein Speer mit einer scharfen Spitze. Die Hülle selbst besteht aus über 200 zahnradartigen Proteinringen, die sich um den starren Speer herumwinden. Beim Abfeuern des T6SS zieht sich die Hülle zusammen und stösst dabei den Giftspeer aus der Zelle heraus. Dieser dringt in die benachbarten Zellen ein und setzt dort tödliche Toxine frei. "Bis jetzt gab es nur Vermutungen darüber, wie sich die Struktur der T6SS-Hülle bei der Kontraktion verändert", sagt Basler. "Mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie, die am C-CINA durchgeführt wurde, erhielten wir nun erstmals von der gedehnten Hüllstruktur ein Bild in atomarer Auflösung."
Durch den Vergleich der Strukturen im gedehnten und kontrahierten Zustand konnten die Forscher am Rechner modellieren, wie das T6SS genau funktioniert. "Beim Zusammenziehen der Hülle, verdreht sich Ring für Ring. Dadurch wird der Abstand zum vorherigen Ring kleiner, der Durchmesser nimmt zu und der Speer wird freigelegt", erklärt Basler. "Die Kombination aus Schrumpfen und Drehen führt dazu, dass der Speer ein Loch in die Zielzelle bohrt. Innerhalb von weniger als zwei Millisekunden zieht sich die T6SS-Hülle auf die Hälfte ihrer Länge zusammen und schraubt gleichzeitig den Giftspeer heraus. Die Bakterien verfügen demnach über einen extrem leistungsfähigen Bohrer."
Nur kontrahierte T6SS-Hülle wird demontiert
Darüber hinaus beschäftigte die Forscher eine weitere Frage. Einige Bakterien verwenden nach dem Abfeuern der Harpune einzelne Bauteile der Hülle für den Bau einer neuen Harpune. "Uns war lange Zeit nicht klar, warum nur die kontrahierte, nicht aber die gedehnte Hüllstruktur demontiert wird", sagt Basler. "Jetzt konnten wir sehen, dass aus der Oberfläche der kontrahierten Hülle ein Proteinabschnitt herausragt, der von einem Protein erkannt wird, der dieses Bauteil in seine Einzelteile zerlegt. Im gedehnten Zustand der Nanoharpune ist dieser Abschnitt jedoch versteckt und die T6SS-Hülle so vor der Demontage geschützt."
Auch zukünftig soll die Nano-Harpune der Bakterien weiter Gegenstand der Forschung sein. "Eines unserer Projekte widmet sich der Frage, wie das T6SS in der Bakterienhülle befestigt ist. Wenn die Harpune mit so einer Wucht abgefeuert wird, dann muss diese sehr fest verankert sein, ansonsten würde die Waffe nicht einwandfrei funktionieren oder deren Abschuss könnte für den Waffenträger selbst tödlich enden."
Artikelfoto: Universität Basel, Biozentrum