Beschwerde von Erwin Sperisen teilweise gutgeheissen
12.07.2017 | 11:42
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Strafsachen von Erwin Sperisen gegen den Entscheid des Genfer Kantonsgerichts vom 12. Juli 2015 teilweise gut. Das Kantonsgericht hatte Erwin Sperisen als Mittäter bei zehn Morden zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Bundesgericht hebt...
Der guatemaltekisch-schweizerische Doppelbürger Erwin Sperisen hatte zwischen Juli 2004 und März 2007 die Funktion des Generaldirektors der Nationalpolizei von Guatemala ausgeübt. Am 25. September 2006 führten die guatemaltekischen Behörden die Operation "Pavo Real" durch, mit der die Kontrolle über das Gefängnis "Pavón" zurückerlangt werden sollte. Dabei kamen sieben Häftlinge zu Tode. Rund ein Jahr zuvor waren neunzehn Inhaftierte aus der Strafvollzugsanstalt "El Infiernito" entwichen. Drei von ihnen kamen am 3. November 2005 beziehungsweise am 1. Dezember 2005 zu Tode, nachdem sie von der Polizei im Rahmen der Aktion "Gavilán" gefasst worden waren.
2014 musste sich Erwin Sperisen im Zusammenhang mit diesen zehn Todesfällen vor dem Genfer Kriminalgericht wegen dem Vorwurf des Mordes verantworten. Mit Urteil vom 6. Juni 2014 wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes in den sieben Todesfällen im Gefängnis Pavón verurteilt, in Bezug auf die drei früheren Todesfälle jedoch freigesprochen. Auf Berufung der Genfer Staatsanwaltschaft und von Erwin Sperisen sprach die Strafkammer des Genfer Kantonsgerichts diesen wegen Mordes in allen zehn Fällen schuldig und verurteilte ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Erwin Sperisen erhob gegen diesen Entscheid Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht.
Fall zurück ans Genfer Kantonsgericht
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist sie im Übrigen ab, soweit es darauf eintritt. Es hebt das angefochtene Urteil auf und schickt die Sache zur Neubeurteilung zurück ans Genfer Kantonsgericht. Der Entscheid des Bundesgerichts umfasst angesichts der Komplexität und des Umfangs der Sache mehr als hundert Seiten. Abgewiesen hat das Bundesgericht die Beschwerde insbesondere bezüglich des Antrags von Erwin Sperisen, die Mutter eines bei der Operation "Pavo Real" verstorbenen Häftlings nicht als Privatklägerin zuzulassen.
Erfolglos blieben weiter die zahlreichen Einwände von Erwin Sperisen, mit denen er seine Behauptung zu stützen versuchte, dass sich die sieben Todesfälle im Gefängnis "Pavón" bei einer bewaffneten Konfrontation zwischen den Ordnungskräften und den Inhaftierten ereignet hätten. Das Bundesgericht weist die entsprechenden Rügen gestützt auf die zahlreichen Aktenstücke im umfangreichen kantonalen Dossier ab oder tritt auf diese nicht ein.
Recht nicht gewährt
Gemäss Bundesgericht durfte die Vorinstanz willkürfrei davon ausgehen, dass es sich bei diesen Todesfällen um geplante Tötungen gehandelt hat, die im Rahmen einer Parallelaktion zur offiziellen Operation "Pavo Real" von einem "Kommando" bestehend aus Polizeikräften und externen Personen ausgeführt wurden. Was dagegen die Feststellung der Verantwortlichkeit von Erwin Sperisen für diese Geschehnisse betrifft, kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass ihm dabei im kantonalen Verfahren die aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) fliessenden Garantien nur unzureichend gewährt wurden. Insbesondere wurde sein Recht auf Konfrontation mit wichtigen Belastungszeugen bezüglich massgeblicher Fakten nicht respektiert.
Ebenfalls nicht mit der EMRK vereinbar sind die Ausführungen des Kantonsgerichts, soweit es sich auf die Erkenntnisse der Ermittler der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) bezieht, zumal der Inhalt ihrer Untersuchungen sowie die entsprechenden Beweise nicht genau bekannt sind. Als willkürlich beurteilt das Bundesgericht zudem die Würdigung bestimmter Beweise durch das Kantonsgericht. Weiter verweist es auf die zum Teil ungenügende Begründung des vorinstanzlichen Entscheides. Was die Operation Gavilán betrifft, erachtet das Bundesgericht den Anklagegrundsatz als verletzt.
Das Kantonsgericht hat die Verantwortlichkeit von Erwin Sperisen bei diesen Tötungen auch damit begründet, dass er an der Folterung von Inhaftierten beteiligt gewesen sei. Entsprechende Ausführungen dazu fehlen jedoch in der Anklageschrift. Schliesslich ist auch die Beweiswürdigung in diesem Punkt sowie bezüglich weiterer wichtiger Tatfragen unvollständig.
Artikelfoto: Roland Zumbühl/picswiss (CC BY-SA 3.0)