Unterhaltsrecht - Bundesgericht kippt 10/16-Regel und setzt gleichstellungspolitisches Signal
28.09.2018 | 13:41
Soeben hat das Bundesgericht ein Urteil veröffentlicht, das dem hauptbetreuenden Elternteil (also traditionellerweise den Müttern) eine 50%-Erwerbsarbeit zumutet, sobald das Kind zur Schule geht. Das Bundesgericht vollzieht damit die gesellschaftlichen Veränderungen und macht unmissverständlich klar: Es gilt für Mütter wie Väter das Prinzip der Erwerbskontinuität auch bei Elternschaft. männer.ch begrüsst dieses gleichstellungspolitische Signal.
männer.ch hat sich intensiv in der Revision des Unterhaltsrechts engagiert. Denn das Modell des Betreuungsunterhalts ist im Grundsatz egalitär: Wenn sich ein Paar Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit hälftig teil, schuldet keiner dem Anderen Unterhalt. In der Praxis haben die Gerichte das neue Modell aber bislang sehr unterschiedlich und keineswegs immer im Sinn des Gesetzgebers umgesetzt.
Der kritische Punkt: Damit das Modell in der Praxis funktioniert, müssen Väter auch real die Möglichkeit haben, die Erwerbsarbeit tatsächlich zugunsten der Kinderbetreuung zu reduzieren – selbst wenn sie zuvor Vollzeit einer Erwerbsarbeit nachgegangen sind. In diesem Punkt hat das Bundesgericht nun einen grossen Schritt gemacht, um dies zu ermöglichen und zu erleichtern.
Neu wird dem hauptbetreuenden Elternteil (also traditionellerweise den Müttern) eine 50%-Erwerbsarbeit zugemutet, sobald das Kind zur Schule geht (heisst: ab Kindergarten oder Eingangsstufe). Ab Eintritt in die höhere Schule (Sekundarstufe) ist eine 80%-Erwerbsarbeit zumutbar, sobald das Kind 16 Jahre alt ist 100% Erwerbsarbeit. Das ist eine substanzielle Veränderung gegenüber der heutigen 10/16-Regel (keine Erwerbsarbeit bis zum Alter von 10 Jahren, zwischen 10-16 Jahren 50%, ab 16 Jahren 100%).
Das Bundesgericht vollzieht damit die gesellschaftlichen Veränderungen und macht unmissverständlich klar: Es gilt für Mütter wie Väter das Prinzip der Erwerbskontinuität auch bei Elternschaft. Der dauerhafte Rückzug aus dem Erwerbsleben ist heute für Frauen/Mütter keine Option mehr. Der rechtlich geschützte Erwerbsunterbruch nach der Familiengründung dauert maximal noch 5-6 Jahre. Es muss also im Interesse von Müttern und Vätern sein, dass beide Elternteile im Arbeitsmarkt vermittelbar bleiben und sich Beide in der Kinderbetreuung engagieren. Weil so Anreize zur Wahl des traditionellen Ernährermodells wegfallen, dürfte der Entscheid die innerfamiliären Diskussionen rund um die Familiengründung nachhaltig und gleichstellungspolitisch positiv beeinflussen.
Damit hat das Bundesgericht den politischen Auftrag des Parlaments ernst genommen, das mit dem neuen Unterhaltsrecht eine erstaunlich moderne Umsetzung des Gleichstellungsauftrags der Schweizer Bundesverfassung vorgespurt hat. Die neue Leitlinie des Bundesgerichts wird nun eine schweizweite Harmonisierung der Gerichtspraxis zumindest bei der Frage der Zumutbarkeit von Erwerbsarbeit befördern. Nun gilt es, auch die Harmonisierung der finanziellen Aspekte voran zu bringen.