Das macht Schweizer Familienunternehmen so erfolgreich
13.10.2017 | 10:50
Viele Schweizer Familienunternehmen können sich seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten auf dem Markt behaupten. Zwei Forscherinnen der Hochschule Luzern haben untersucht, wie diese Unternehmen im Spannungsfeld von Innovation und Tradition überleben. Ihr Ergebnis: Ein Unternehmen, das von einer...
Schweizer Familienunternehmen beschäftigen 60 Prozent aller Arbeitskräfte und erwirtschaften zwei Drittel des Bruttoinlandproduktes; auch weltweit sind Familienunternehmen die Pfeiler der Wirtschaft. Viele bekannte Schweizer Traditionsunternehmen wie Victorinox, Kambly oder Bernina befinden sich seit Jahrhunderten in Familienbesitz. Das Metallunternehmen Pestalozzi wird seit seiner Gründung 1763 bereits in neunter Generation geleitet.
Wie schaffen es diese Familienunternehmen, über Generationen als Unternehmen erfolgreich zu sein und als Unternehmerfamilie geeint zu bleiben? Diese Fragen haben Claudia Astrachan Binz und Sylvie Scherrer vom Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR der Hochschule Luzern - Wirtschaft untersucht. Für das Forschungsprojekt befragten sie 13 erfolgreiche Schweizer Familienunternehmerinnen und -unternehmer. Die Erkenntnisse zeigen, was die Geheimnisse von erfolgreichen Unternehmerfamilien sind.
Zusammenspiel von Bewahren und Erneuern
"Die Familien befinden sich im Zusammenspiel von Bewahren und Erneuern", sagt Sylvie Scherrer, Mitarbeiterin am Themenschwerpunkt Familie und Unternehmen des IBR. Langlebige Familienunternehmen beziehen sich auf ihre Werte, Traditionen und ihre Geschichte - und schöpfen gerade daraus Kraft zur Erneuerung. Denn oftmals ist der Firmengründer ein Vorbild für Innovation, Mut und Risikofreude.
Obwohl funktionierende Familienunternehmen ein sehr starkes Bewusstsein für ihre Tradition hätten und diese sorgfältig pflegten, seien sie offen für Veränderung. So zitiert die Studie Oscar A. Kambly mit den Worten: "Die Ur-Idee muss mit der Zeit weiterentwickelt werden, aber die Essenz, die Werte, die müssen bleiben." Auch wenn sich heutige Geschäftsfelder oftmals von ihrem Ursprung entfernt haben – etwa der Grossbetrieb der Kambly AG von der Bäckerei von 1906, die Trisa AG von der Bürstenfabrik von 1887, oder die Victorinox von der Messerschmiede von 1884, sind diese langlebigen Familienunternehmen ihren Wurzeln dennoch treu geblieben.
Nicht zu Wachstum gezwungen
Viele Familienunternehmen haben eine hohe Eigenkapitalquote; sie können schnell investieren ohne Fremdkapital aufzunehmen und sich von Geldgebern abhängig zu machen. "Wir waren nie - im Gegensatz zu weltweit tätigen Firmen mit grossen Konkurrenten - zu einem Wachstum gezwungen, das den Einsatz von ausserfamiliärem Kapital nötig gemacht hätte", wird Matthias Pestalozzi in der Studie zitiert.
Nebst der hohen finanziellen Unabhängigkeit ist der langfristige Planungshorizont ein weiterer Vorteil von Familienunternehmen. Denn dieser erlaubt es, mehrjährige Forschungs- und Entwicklungsprojekte anzugehen, die Publikumsgesellschaften vermeiden würden. Oscar A. Kambly sagt in der Studie: "Mein Planungshorizont ist mein ganzes Leben und das meiner Nachfolger, und nicht der Quartalsbericht."
Individuelle Bedürfnisse auf dem Prüfstand
Die Bedürfnisse der Familienmitglieder können sich im Zeitverlauf auseinanderentwickeln, und es kann dazu kommen, dass die finanziellen Erwartungen der - exponentiell wachsenden - Familie längerfristig die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens übertreffen. Insbesondere dann, wenn gewisse Familienmitglieder finanziell vom Unternehmen abhängig sind, können Konflikte entstehen. "Hier es wichtig, dass sich die Familie der Verbindung der Familienbedürfnisse und Unternehmensziele bewusst ist, und diese aufeinander abstimmt", sagt Claudia Astrachan Binz, Leiterin des Themenschwerpunkts Familie und Unternehmen am IBR.
Doch wie stellt man sicher, dass sich die Familie nicht zerstreitet, wenn verschiedene Interessen und Bedürfnisse vorhanden sind? Eine geeinte Familie beschreiben die Forscherinnen so: "Die Familienmitglieder verpflichten sich auf ein gemeinsames, übergeordnetes Ziel und akzeptieren, dass ihre individuellen, auf das Unternehmen bezogenen Bedürfnisse - beispielsweise Beschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen - dem nachhaltigen Gedeihen des Unternehmens unterzuordnen sind."
Hohe Anforderungen an Nachfolge
Die Studie gibt Empfehlungen, auf welche Punkte die Familie achten sollte: Dazu gehört die Förderung der Mitarbeitenden und die rechtzeitige Suche nach einer geeigneten und gut ausgebildeten Nachfolge. "Wenn man einem Familienmitglied einen Posten gibt, muss er oder sie mindestens gleich gut sein wie der externe Kandidat - eher fünf Prozent besser, damit das unverdächtig ist", sagt Carl Elsener von Victorinox AG in der Studie.
"Eine professionelle Familie nutzt viele Instrumente, um die Schnittstelle zwischen Familienverbund und Unternehmen effektiv zu handhaben, den Kommunikationsfluss innerhalb der Familie sowie zwischen Familie und Unternehmen zu steuern, und mit Konflikten umzugehen", schreiben die Forscherinnen. Doch ist Claudia Astrachan Binz überzeugt: "Man kann eine Nachfolge noch so genau planen und so viele Verträge schreiben und Regeln definieren wie man will - viel wichtiger ist es sicher zu stellen, dass die Familie geeint ist und gemeinsam etwas erreichen will. Wenn eine Wertebasis und eine Vision, die alle begeistert, fehlen, dann wird es schwierig."
Artikelfoto: hpgruesen (CC0 Creative Commons)