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"Der Riss" geht auf Wanderschaft

Eigentlich ist es schade, dass "Der Riss" ("La Fessura") nicht an der Staumauer überwintern darf. Denn mittlerweile hat die Natur kräfig mitgemalt; Wind und Wetter, Lichteinfall und den Eingriffen infolge von Reparaturarbeiten an der Staumauer ausgesetzt, änderte sich das Bild laufend. So manche...

Auch die Künstlerin nimmt mit Wehmut Abschied von "ihrem" Bild. "Es fällt mir schwerer als gedacht, loszulassen", sagt Maya Lalive, "auch wenn meine Idee von allem Anfang an darauf ausgerichtet war, ein Werk auf Zeit zu machen und mein Bild denselben Weg vom Werden, Sein und Vergehen durchlaufen zu lassen, wie dies die Natur hier demonstrativ vorlebt. So viel Emotionen, so viel Arbeit, so viel von mir selbst steckt in diesem Werk – ein Stück von mir geht mit dem Bild dahin. Das ist mir erst jetzt so richtig bewusst geworden."

Was passiert jetzt mit dem Riesenbild "Der Riss"?

Die Geschichte dieser einzigartigen Kunstintervention ist jetzt freilich noch nicht zu Ende geschrieben. "Der Riss" geht sozusagen auf Wanderung. Das grosse Bild wird nun ins Unterland transportiert, wo Teile davon die Geschichte dieses Kunstwerks weiter schreiben werden. Und andere im Atelier von Maya Lalive in Linthal GL transformiert werden. Das heisst: Ein grosses Teil des Originals erhält einen neuen Fixpunkt. Und aus einem anderen Teil entstehen weitere kleine Originale, die alle unterschiedlicher nicht sein können.

Zurück bleiben Erinnerungen, Gedanken, Ideen und Geschichten der Besucher an eine eindrückliche und mutige Kunstintervention. Und es bleibt eine Foto- und Filmdokumentation, die am Entstehen ist. Und natürlich eben die Teilbilder. So klein diese auch sein mögen: In jedem dieser Bilder lebt die schöne, künstlerische Geschichte weiter, die Maya Lalive geschrieben hat. Ein Riss als Symbol und als Quelle neuen Lebens - ein Hoffnungsträger.

Was die Aktion dem Bergell, der Bevölkerung, dem Tourismus gebracht hat

Michael Kirchner, der Geschäftsführer der Tourismusorganisation Bergell, äussert sich rückblickend hell begeistert über die Kunstintervention von Maya Lalive und bedankt sich herzlich für ihre private Initiative. "Von der Kunstistallation bis zur Kommunikationsarbeit – alles hat bestens geklappt. Die Wichtigkeit solcher Projekte ist für die touristische Entwicklung und für die Befestigung der Positionierung des Bergells sehr wichtig. Dieses Projekt hat viele Leute (besonders auch Einheimische) erreicht, die normalerweise keinen Bezug zur Kunst oder zum Bergtourismus haben."

Gefühle wie Ängste und Schreckens-Szenarien hätte "Der Riss" bei den Bewohnern des malerischen Tales nicht bedient obschon das Bild mit dem schwarzen Riss diese Illusion ab und zu und je nach Lichteinfall und Sonnenstand bewirkte.

Notabene, diese Frage sei erlaubt: Wie sicher sind Staumauern eigentlich in der Schweiz?

Das Kunstwerk "Der Riss" an der Staumauer hat als Nebenschauplatz bei Berggängern und auch unter Medienleuten zu einer interessanten Debatte geführt. Fragen wurden aufgeworfen, wie es in der Realität um die Sicherheit solcher Bauwerke bestellt sei. Ob ein effektiver Riss in einer Mauer unbemerkt passieren könnte.

Maya Lalive wurde das in Interviews auch gefragt. Und sie verwies stets auf die Themenseite auf der Homepage des Bundesamtes für Energie. Dank hoher gesetzlicher Anforderungen und der kompetenten Sicherheitsaufsicht durch das Bundesamt für Energie respektive der Sektion Aufsicht Talsperren sind die grossen Stauanlagen in der Schweiz sicher.

Beabsichtigt oder initiert hatte die Künstlerin diese Diskussion allerdings nicht. Sie lebt selber viele Wochen im Jahr im Bergell. Von ihrer Wohnung aus hat sie direkten Blickkontakt auf die Staumauer. An den düster, dunkelgrauen, bedrohlich Eingriff in die Natur hat man sich seit den 50-er Jahren längstens gewöhnt.

Und nicht zuletzt: Eine Staumauer als Ausstellungs-fläche und Kunstraum auf Zeit zu verwenden, auch das Verdienst geht an die Künstlerin Maya Lalive. Das war einmalig und wohl auch erstmalig in der Schweiz.